Der Kerner-Turm – ein Wahrzeichen der Stadt Gaildorf

Die Erbauung des Kerner-Turms im Jahre 1902

In den Blättern des Schwäbischen Albvereins berichtet im Jahr 1900 Oberamtmann Robert Majer „Aus dem Limpurger Land“ und beschrieb darin den Gaildorfer Hausberg, den Kirgel, so:

Von dem 455 m hohen Kirgel, einem schmalen, 20 Minuten von der Stadt entfernt gelegenen Bergrücken zwischen dem Rot- und dem Kochertal, welcher von besonders begeisterten und sangeslustigen Naturschwärmern zum zünftigen Stelldichein in mondheller, winterlich mitternächtiger Jahreswende auserkoren ist, genießt man nach allen Richtungen herrliche Aussicht. Berg und Tal in reizender Gruppierung; überall mannigfaltige, das Auge wohltuend berührende Abwechslung und ringsum auf den Höhen prächtige Tannenwälder, von denen sich die frischgrünen Bergwiesen in steilen Hängen zur Talmulde hinabsenken.

Von ihm, der so schwärmte, dem Vertrauensmann der Gaildorfer Ortsgruppe, Robert Majer, ging der Gedanke aus, den Kirgel mit einem Aussichtsturm zu schmücken. Zwei Jahre später war es so weit. In der Hauptversammlung der Ortsgruppe am 21. Januar 1902 wurde beschlossen, der Verwirklichung dieses Werks näherzutreten. Dem dazu eingesetzten Komitee oblag es, den Gedanken umzusetzen. Das „Womit“ war dabei die entscheidende Frage. Der Wegwart und Vereinskassier der Ortsgruppe, Lehrer Gottlob Haller, entwickelte das reinste Sammlergenie, was ihm in der Ortsgruppe den Titel „Generalfechtmeister“ einbrachte. So waren schon bald die notwendigen Mittel zum Baubeginn beschafft. Der Kerner-Turm kurz vor der Einweihung 1902

Bereits am Sonntag, den 14. September 1902, wurde der nach der Dichter- und Arztfamilie Kerner (Justinus und dessen Sohn Theobald) benannte Aussichtsturm, bis heute ein Wahrzeichen der Stadt Gaildorf, eingeweiht. Justinus Kerner war 1815 bis 1819 als Oberamtsarzt in Gaildorf tätig. Während seiner Gaildorfer Zeit entstand u.a. auch die schwäbische Nationalhymne „Preisend mit viel schönen Reden“. In seiner Begrüßungsrede bei der Einweihung des Turmes führte der damalige Albvereinsvorstand Postmeister Eberhard Kühnle aus:

Daß der Kirgel den Gaildorfern ans Herz gewachsen ist, daß es ihr Lieblingsberg ist, hat sich während des Baues gezeigt. Jeder wollte zum Bau des Turmes beitragen, was in seinen Kräften stand. Die einen durch Zuwendungen an Geld (es sind von der Einwohnerschaft Gaildorfs rund 500 Mark beigesteuert worden) oder an Materialien, die andern durch unentgeltliche Fuhren, die Handwerksmeister durch Ansetzen billiger Preise und Arbeitslöhne, sogar unser altbewährter Stadtkapellmeister ließ es sich nicht nehmen, ein Konzert zugunsten des Aussichtsturmes zu veranstalten und das Erträgnis dem Baufond zu überweisen. Vorangegangen sind die bürgerlichen Kollegien, an der Spitze unser verehrter Herr Stadtvorstand. Sie sind dem Komitee in jeder Richtung entgegengekommen, sie haben bereitwilligst den Bauplatz unentgeltlich zur Verfügung gestellt und den Zugangsweg herrichten lassen. Unter den ansehnlichen Beiträgen und Zuwendungen stehen oben an, der Albverein mit 200 Mark, Seine Erlaucht Herr Graf Bentinck durch den bedeutenden Nachlaß an der Bauholzrechnung, von den Standesherrschaften Pückler 200 Mark, Bentheim 50 Mark, Herr Fabrikant Chr. Seilacher, Stuttgart, 100 Mark, Herr Oberamtmann Mayer mit 100 Karten der Umgebung Gaildorfs im Wert von 250 Mark.

Wir fühlen daher das Bedürfnis, allen denen, die zum Gelingen des Werkes beigetragen haben, unseren tiefgefühlten und wärmsten Dank zu sagen. Besonderen Dank aber verdient die Bauleitung und Bauausführung. Herr Bauführer Remppis zeigte sich seiner Aufgabe vollständig gewachsen. Unverdrossen und mit großem Eifer widmete er sich dem Werke. Ebenso haben sich bemüht Tüchtiges zu leisten der Zimmermeister Eichele mit seinen Gehilfen, Steinhauermeister Bühler, Flaschnermeister Kettemann, die Schmiedmeister Wieland und Kühneisen, Schlossermeister Rost und Hofgärtner Metzger mit seiner schönen Dekoration des Turmes und Stadtbaumeister Kleinlogel, der mit seinem Personal allen hilfreich an die Hand ging. Die Dachdeckung haben die Gebrüder Rat aus Waiblingen ausgeführt. Im Namen der Ortsgruppe Gaildorf übergebe ich den „Kerner-Turm“ in die Obhut der Stadt Gaildorf.

Möge der Kernerturm dazu beitragen, das Band der edlen Freundschaft, die nur unterm Banner des Albvereinszeichens so herrliche Pflege findet, noch enger zu knüpfen und möge er neue Freunde dem Albverein zuführen, Freunde der herrlichen Gottesnatur und unserer schönen Gegend und insbesondere Freunde, die gerne, und auch bei jeder Witterung, auf Feld- und Waldespfaden wandern. Möge ferner der Kernerturm stets ein gutes Wahrzeichen Gaildorfs sein und möge er immerdar herunterschauen auf blühende Fluren und eine friedliche, ersprießliche und gedeihliche Entwicklung der Stadt. Diese Wünsche wollen wir zusammenfassen in dem Rufe, die Stadt Gaildorf, sie lebe hoch!

Nach dieser Begrüßung hielt Präzeptor Conrad Friedrich Wolfarth eine „poesiedurchwobene formvollendete Festrede“ zur Geschichte unseres Raumes und nach Liedvorträgen des Liederkranzes und des Arbeitergesangvereines Eintracht sprach in Vertretung des Stadtvorstandes Stadtpfleger Moser Dankesworte. Am Abend zeigte der Turnverein stramm ausgeführte Pyramiden und Stabübungen und die Jugend vergnügte sich mit Tanze. Bei einbrechender Dunkelheit wurden die von Herrn Hofrat Dr. Gmelin gefertigten und gespendeten Raketen losgelassen und sendeten Grüße vom Kerner-Turm. Vorgetragen wurde der schriftliche Gruß des 87jährigen Hofrates Theobald Kerner, des in Gaildorf geborenen Sohnes von Justinus Kerner. Nach dem Rückmarsch des Festzuges auf den Marktplatz reihte sich im Postsaal noch eine gemütliche Unterhaltung an.


Spätere Ansichten des Turms


Kerner-Turm-Initiator Robert Majer vor „seinem“ Turm, 4. Juli 1937


Wandergruppe vor dem Kerner-Turm (mit Weltkriegsschäden), um 1946


An Sonn- und Feiertagen zwischen Ostern und Ende Oktober versehen die Mitglieder unserer Ortsgruppe den Schließdienst am Kerner-Turm, so daß die Wanderer den Ausblick ins Kocher- und Rottal, auf die Limpurger Berge, die Frickenhofer Höhe und in den Mainhardter Wald genießen können.


Zur nächsten Episode: Georg Fahrbachs Zeit im Limpurger Land